Selbstgespräche

Ich gehe durch den Stadtteil, in dem ich wohne. Ich komme aus der Innenstadt und will nach Hause. Obwohl es Mitte Juli ist, ist es zu dieser Stunde ungewohnt schummrig, leichter Regen fällt.

 

Ich hätte einfach aus der Bahnstation kommend ein paar Schritte zur Bushaltestelle gehen können, laut Anzeige wäre der nächste Bus in acht Minuten gekommen. Ich entschloss mich gegen den Bus, ein paar Schritte an der frischen Luft würden mir gut tun und ich vermeide weiterhin Bus und Bahn so gut es geht, weil der Virus immer noch da ist. Und so gehe ich Straße entlang und werde vermutlich zeitgleich mit dem Bus an der Haltestelle ankommen, an der ich aussteigen müsste.

Hätte ich, wie ich es sonst so oft tue, Kopfhörer im Ohr gehabt, so hätte ich den Mann an der nächsten Bushaltestelle gar nicht bemerkt. Ich kenne ihn, nicht persönlich, aber er ist einer dieser Menschen, auf die man auf seinen Wegen immer wieder trifft, weil es zufällige Überschneidungen der eigenen Routinen mit denen dieser anderen Menschen gibt.

Dieser Mann sitzt in dieser Haltestelle, auf der schmalen Bank und schaukelt vor und zurück. Wenn in ein paar Minuten der Bus anhalten und die Türen öffnen wird, wird er nicht einsteigen. Er wird einfach sitzen bleiben und die Leute betrachten, die aussteigen. Vermutlich wird er immer noch so dasitzen, wenn der darauffolgende Bus ebenfalls an der Station hält.

Er unterhält sich. Ich kann beim Vorübergehen nicht ausmachen worum es geht, aber er scheint seine Meinung recht konsequent zu äußern, macht eine kurze Pause und scheint dann auf die Antwort zu reagieren.

Nur… sitzt er alleine an der Haltestelle. Er hat weder ein Headset im Ohr noch ein Telefon in der Hand. Er führt diese Diskussion mit einem imaginären Gegenüber - oder denkt laut.

Das kann man in einer großen Stadt wie Hamburg immer wieder beobachten. Oft kann man erahnen, dass da irgendwelche Substanzen im Spiel sind. Bei ihm aber wohl eher nicht, er ist einfach so.

Eine Zeit lang bin ich einem Gedankenspiel nachgegangen. Ich habe mir überlegt, woher ich eigentlich wissen will, dass ich mich wirklich mit jemandem unterhalte. Als Kind hatte ich zwei unsichtbare Freunde. Mir war klar, dass es sie nicht wirklich gab, aber meine Fantasie tat ihr übriges.

Was, wenn sich das verselbstständigt hat? Woher soll ich denn wissen, dass da wirklich jemand neben mir auf der Parkbank sitzt, mit dem ich mich unterhalte? Und vielleicht guckt die Frau, die gerade an der Bank vorbeigeht ja deshalb zu mir herüber, weil da eben niemand neben mir sitzt und ich mich - wie der Mann an der Haltestelle - mit einer imaginären Person unterhalte.

„Selbstgespräche führe ich oft genug“, denke ich. Wenn der Computer nicht so will wie ich, zum Beispiel.

Aber auch jetzt gerade.

Wenn ich lese oder schreibe, dann erzähle ich. Ich weiß nicht woher das kommt, aber ich habe diese Stimme im Kopf - meine Vorlesestimme - die all das, was ich schreibe oder lese laut ausspricht.

Schreiben ist für mich wie ein Gespräch, oder wie jemand, der mir etwas mit meiner eigenen Stimme erzählt.

Aber wenn man es mal genau betrachtet, dann führen wir alle doch den lieben langen Tag lang Selbstgespräche. Online. Wenn wir bei Twitter etwas schreiben oder in unser Blog, dann schreiben wir für Menschen, die es nicht gibt. Wir haben ein Bild vor Augen, eine imaginäre Person, der wir uns mitteilen.

Bei unseren Webseiten kommt noch hinzu, dass wir nicht davon ausgehen können, dass sie gelesen werden. Bei Twitter und co wissen wir zumindest, dass uns eine bestimmte Anzahl an Menschen folgt und vermutlich ein Bruchteil dieser Menschen unseren Beitrag sehen wird. Bei unserer Webseite wissen wir das nicht so genau. Vielleicht irgendwann im Nachhinein, wenn wir in die Statistiken schauen.

Ganz besonders betroffen von diesen Selbstgesprächen sind diejenigen von uns, die gerade neu anfangen. Wir dürfen gar nicht drüber nachdenken, dass es Tage, Wochen, Monate, manchmal sogar Jahre dauern kann, bis das, was wir so veröffentlichen, gelesen wird.

Bei mir verhält es sich ein bisschen anders. Ich habe einen stetigen Strom von Besuchern auf meiner Webseite. Sie kommen fast alle von Google. Google mag meine Seite. Insbesondere einige Themenbereich darauf.

Leider sind das fast ausschließlich Themenbereiche, über die ich nicht mehr schreibe. Und so landen fast alle meiner Seitenbesucher auf alten Beiträgen, die zwar immer noch weiterhelfen können, aber die allesamt Sackgassen sind. Ich könnte das ändern, will ich aber nicht. Die Themen interessieren mich nicht mehr.

Und so komme ich mir manchmal vor wie an einem Bahnhof. Ich stehe auf dem Bahnsteig zwischen zwei Gleisen und auf Gleis 1 kommt ein Zug an, entlässt eine Menge Menschen, die alle auf den Bahnsteig strömen, sich kurz umsehen, um dann auf Gleis 2 direkt wieder in ihren Anschlusszug zu steigen.

Ich stehe einfach da und sie eilen an mir vorbei. Bevor ich mich versehen habe, ist der Bahnsteig wieder leer. Bis zur nächsten Bahn.

Die neuen Beiträge, die ich schreibe, werden vergleichsweise wenig gelesen. So ähnlich wie bei einer Band, die mit einem neuen Album auf Tour geht, aber das Publikum will nur die alten Hits hören.

Links von mir fährt der Bus vorbei, in dem ich jetzt sitzen könnte. Ich war zu langsam. Der Regen ist wieder etwas stärker geworden, weshalb der Bus dieses typisches Reifen auf regennasser Fahrbahn Geräusch erzeugt.

Ich muss ein bisschen schmunzeln. Was ich bin ich denn eigentlich für eine Type, die eine suchmaschinenoptimierte Webseite hat, die nur für alte Artikel gut funktioniert.

Was soll’s. Ich kram den Haustürschlüssel aus meiner Hosentasche und versuche das Schloss zu treffen, ohne das Licht einzuschalten. Führe ich halt weiter Selbstgespräche.

Lieber schreibe ich Texte, mit denen ich zufrieden sein kann, als Texte, die durch und durch optimiert sind für eine keywordhungrige Suchmaschine. Ich bin mir sicher, irgendwann wird jemand über meine Texte stolpern und aus meinen Selbstgesprächen eine Unterhaltung machen.

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