Unabhängig im Netz

Abhängigkeiten sind immer schlecht. Trotzdem gehen viele von uns immer wieder Abhängigkeiten ein, meist weil es der einfachste Weg ist. Doch die Gefahren sind groß.

Am Dienstag zeigte sich mal wieder sehr deutlich, worauf wir uns einlassen, wenn wir uns von einigen wenigen Diensten abhängig machen. Denn: Amazon hatte mit Problemen zu kämpfen, betroffen war AWS, die Amazon Web Services.

Die AWS bieten Cloud-Dienstleistungen an unter Anderem auch Cloud-Speicher und Rechenkapazitäten. Die Probleme am Dienstag sorgten dafür, dass diese nicht mehr erreichbar waren. Die Folgen waren erschreckend. Als einer der größten Anbieter von Cloud-Diensten, hat Amazon zahlreiche Kunden, weltweit. Und so kam es, dass kurz nach dem Ausfall die ersten Fragen und Beschwerden bei Facebook und Co auftauchten. Natürlich waren diese zunächst nicht an Amazon gerichtet, sondern an dessen Kunden.

Dienste wie Canva, Trello und Slack verweigerten auf einmal die Arbeit. Daten wurden nicht geladen, im harmlosesten Fall fehlten Bilder, im schlimmsten Fall waren ganze Dienste nicht mehr funktionsfähig. Und die Anbieter dieser Dienste? Die Abhängigkeiten von der Cloud sind oftmals so groß, dass ein schnelles Eingreifen gar nicht möglich ist. Alternative Kapazitäten in dem Umfang bereitzustellen bzw. in der Hinterhand zu haben, ist aufwendig und teuer. Also verlässt man sich auf den gewählten Anbieter.

Der Amazon Ausfall dauerte nur ein paar Stunden, der Dienst konnte nach und nach die Systeme wieder stabilisieren, aber es hätte auch anders kommen können.

Der User leidet als erster

Was passiert, wenn solche großen Dienste über mehrere Tage ausfallen, bemerken zuerst natürlich die Benutzer der Endprodukte. Tools und Programme auf die man vielleicht angewiesen ist, funktionieren nicht mehr. Manchmal ist es auch einfach nur ein Ärgernis, weil man abends die Lieblingsserie auf Netflix nicht mehr gucken kann.

Richtig ärgerlich wird es, wenn man beruflich auf so einen Dienst angewiesen ist und noch ärgerlicher ist es natürlich für die Anbieter selber. Ein Dienstausfall über mehrere Tage, bedeutet auch, dass mehrere Tage keine Umsätze generiert werden können.

Trotzdem schreitet die Entwicklung immer weiter in Richtung einer monolithischen Struktur. Einige wenige große Unternehmen stellen die Infrastruktur des Internets zur Verfügung.

Viele Dienste würden heute ohne Cloud und gemietete Rechnerkapazitäten gar nicht funktionieren. Es wäre viel zu teuer entsprechende Infrastruktur selber aufzubauen. Das kann sich nur leisten, wer schon eine gewisse Größe und Umsatzstärke erreicht hat.

Das hat zur Folge, dass das offene Internet sich immer mehr verschließt. Auch wenn es von außen zunächst anders aussieht. Wer den Großteil der Infrastruktur des Netzes in der Hand hat, bestimmt auch, in welche Richtung sich das Netz weiterentwickelt.

Abhängigkeit als Gefahr

Für uns kleine Unternehmer und Freiberufler mag das erst einmal egal sein. Wenn wir mal zwei Tage nicht auf Canva zugreifen können, ist das kein Weltuntergang. Aber viele von uns machen sich in anderer Weise extrem abhängig.

Wer seine Social Media Strategie komplett auf Facebook ausrichtet, das eigene Blog bei Medium betreibt, oder die eigenen Produkte über Shopify verkauft, der macht sich abhängig.

In der Vergangenheit haben wir das schon ein paar mal erlebt. Wenn Facebook auf einmal großspurig Änderungen vornimmt und die eigene Social Media Strategie nicht mehr funktioniert, dann ist man, gelinde gesagt, am Arsch, wenn man keine Alternative hat. Und gerade für Leute, die gerade erst durchstarten und vielleicht noch keinen großen finanziellen Puffer haben, kann das bedeuten, dass auf einmal Geld fehlt.

Ich hatte in der Episode über die Neuausrichtung von Medium.com schon darüber gesprochen: Wer seine komplette Onlinepräsenz auf eine Plattform ausrichtet, macht sich anfällig. Solche Anbieter neigen dazu, ihre Ausrichtung gerne mal um 180 Grad zu drehen, wenn sie merken, dass mit der aktuellen Strategie das gewünschte Wachstum nicht zu erreichen ist. Man führe sich nur mal vor Augen, wie schnell MySpace aus den Köpfen der Menschen verschwunden ist. Grüße an Tom ;)

In einer Facebook-Gruppe stellte neulich jemand die Frage, ob er zu seinem Podcast auch eine eigene Facebook-Seite einrichten sollte, statt einer eigenen Webseite. Bei mir leuchten da sofort die roten Lämpchen auf.

Das offene Netz

Als jemand, der bereits seit Ende der 90er ins Netz schreibt, habe ich vieles miterlebt. Die ersten Blogs, die Entstehung der Blogosphäre, das Aufkommen von Podcasts.

Alle diese Neuheiten hatten Anfangs etwas gemeinsam. Man richtete sich seinen Dienst, also das Blog oder den Podcast, selber ein. Mietete sich irgendwo Webspace und installierte dort die Blogsoftware seiner Wahl. Und man vernetzte sich hochgradig.

Gerade Blogs zeichneten sich dadurch aus, dass man sich vernetzte. Es gab Pingbacks und ein Blog ohne Blogroll, also einer Liste von Blogs die man selber toll findet, war schon mal irgendwie suspekt.

Das ist heute nicht mehr so. Blogs sind zum Massenprodukt geworden. Jeder, der online irgendwas bewegen will, hat ein Blog. Blogrolls sieht man nur noch selten. Man bloggt nicht mehr, sondern man erstellt Content. Ein furchtbar abwertendes Wort, wenn man mal darüber nachdenkt. Aber das ist ein anderes Thema. Vernetzung findet nicht mehr auf Blogs statt, sondern bei Twitter, Facebook und Instagram.

Und selbst, wenn man also ein eigenes, selbstgehostetes Blog hat, die Abhängigkeit von anderen Diensten bleibt. Ich schließe mich da auch selber nicht aus. Netzwerken funktioniert eben heute über Facebook.

Uns geht dabei aber viel verloren, nämlich unsere Unabhängigkeit. Die Möglichkeit in unserem Sinne Dinge in die Welt zu setzen und uns viel direkter mit Personen zu vernetzen, nicht über den Umweg Facebook (und dann hoffen, dass die Leute mal auf die eigene Seite gucken), sondern genau andersherum. Seitenbesucher, werden zum Netzwerk.

Machen wir uns nichts vor, diese Dinge werden sich so schnell nicht wieder ändern. Da schwingt bei mir wahrscheinlich auch eine ganze Menge Nostalgie mit. Aber wir sollten uns alle Bewusst machen, dass wir damit das offene Netz langsam aber sicher austrocknen.

Um 2000 herum, als ich anfing, richtig zu programmieren und mich viel mit Linux und OpenSource befasste, habe ich mal mit einem IRC-Kollegen, die Älteren werden sich erinnern, an einem kleinen Tool gearbeitet. Wir hatten da dieses Konzept entwickelt und nannten es „IPIN“ - „International Private Information Network“. Die Idee dahinter war eine Dezentralisierung des Netzes. Anstatt eines zentralen Servers, sollte sich jeder mit dem Client-Programm in ein Netz einklinken können und damit gleichzeitig Empfänger und Sender sein. Verdammt, wir hatten Napster und P2P erfunden, bevor es das gab!

Um ehrlich zu sein, darüber haben sich wahrscheinlich zahlreiche andere Leute auch schon so ihre Gedanken gemacht. Wir waren sicherlich nicht die ersten. Und wir waren sicherlich auch nicht die ersten, die irgendwann einfach aufgehört haben, das Ding weiter zu programmieren.

Für mich ist das System aber immer noch valide und wichtig. Wenn man ein wirklich offenes Netz schaffen will, so kann das nur über eine dezentrale Struktur geschafft werden. Es gibt ja inzwischen sogar Apps, die es möglich machen, ohne Internetzugang aufs Internet zuzugreifen, indem Daten von Handy zu Handy weitergegeben werden und zwar über Nahfunktechnik, bis irgendwann ein Handy gefunden wird, dass Zugang zum Netz hat und dann die Daten online weitergibt. Das sind spannende Technologien.

Für mich ist das Social Network der Zukunft anbieterunabhängig und dezentral. Das wird wohl nicht passieren, da würde man zu viel Geld auf der Straße liegen lassen. Ansätze gab es ja in der Vergangenheit schon immer mal. Die meisten davon sind, von der Masse gar nicht wahrgenommen worden und wieder in der Versenkung verschwunden.

Wenn wir ein offenes Netz wollen, unabhängig von einigen wenigen Dienstleistern, dann müssen wir alle dazu beitragen, diese Richtung einzuschlagen. Das ist anstrengend, denn Dezentralisierung kommt mit vielen technischen und gesellschaftlichen Problemen einher. Ich glaube aber, für eine freie Gesellschaft ist es wichtig. Und für jemanden, der nicht möchte, dass seine eigenes Business von einem anderen Business abhängig ist, auch.

Und du?

Schau dir mal deine Online-Aktivitäten an und überlege dir, welchen Abhängigkeiten du unterliegst. Was würde passieren, wenn einer dieser Dienste, auf die du zugreifst morgen die Arbeit einstellt? Gibt es Möglichkeiten, dich aus dieser Abhängigkeit zu befreien? Was spricht dafür, was dagegen?

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