Medienwandel – Das Blog als Konstante?
So viel verändert sich um uns herum. Immer schneller, immer radikaler. Sind Blogs die Konstante, die uns bleibt? Das habe ich versucht für mich herauszufinden, nur um mit einem Paradoxon zu enden.
"Medienwandel, das Blog als Konstante, was für ein spannendes Thema!", dachte ich und plante diesen Beitrag, recherchierte zu den Anfängen der Blogs und war bereit, herauszuarbeiten, was die Konstante ist. Immer wieder kam ich zu dem Schluss, dass es nur eine einzige Konstante gibt!
Es fängt schon damit an, definieren zu wollen, was ein Blog eigentlich ist. Schwierig. Vermutlich könnte man zwanzig Bloggerinnen fragen und bekäme zwanzig unterschiedliche Antworten. Sparen wir uns mal den Klick zu Wikipedia, eine theoretische Definition bringt uns hier nichts.
Worauf wir uns wohl einigen können, ist dies: Ein Blog ist eine chronologisch angelegte Sammlung von Beiträgen auf einer Webseite. Zumindest das ist eine Konstante, die sich durch alle Blogs zieht. Aber nicht das, wonach ich suche.
Alleine die Schwierigkeit, zu benennen, was ein Blog ist, zeigt schon, was es nicht ist: konstant. Die einzige Konstante, so könnte man meinen, ist die stetige Veränderung. Auf dieses Argument lief Version 1 dieses Beitrags hinaus.
Ein ziemlich schwaches Argument. Hätte jemand anderes mir das als Erkenntnis vorgesetzt, schlösse ich das Tab spätestens jetzt.
Dieser Beitrag ist Teil der Blogwochen
Vielleicht finden wir die Konstante, wenn wir "das Blog" neben andere Medienformen der vergangenen, sagen wir mal, zwanzig Jahre stellen. Vor etwa zwanzig Jahren erfuhren Blogs ihren Weg in den Mainstream, wenn man so will.
Ich war fast gewillt zu schreiben, dass sich der Medienkonsum in den zwanzig Jahren mehrfach stark verändert hat, das Blog aber immer da war. "Stabil", dachte ich, "aber völlig daneben".
Früher haben wir ja alle noch lange Texte im Web gelesen, aber dann kamen andere Formate, insbesondere Video. Erst längere Videos und mit Vine, Instagram und zuletzt TikTok wurden die Videolängen immer kürzer. Heute guckt niemand mehr Videos, die länger als ein paar Sekunden sind.
Das ist natürlich auch alles Quatsch. Wir lesen alle immer noch fleißig und wer "den jungen Leuten" vorwerfen will, dass sie nur noch vor TikTok sitzen und Kurzvideos schauen, war noch nie bei Twitch unterwegs, wo Menschen stundenlang Streamern zuschauen.
Der Untergang unterschiedlicher Medienformate wird regelmäßig heraufbeschworen. Der Untergang bleibt aus, es zeigt sich aber, dass diejenigen, die sich früh flexibel aufstellen, heute besser dastehen als andere.
Gut. Keine (digitale) Medienform der letzten zwanzig Jahre, hat maßgeblich an Relevanz verloren oder ist gänzlich verschwunden. Die zugriffszahlen verschieben sich immer wieder zwischen den Medien, da sind sie alle noch.
Zu sagen, im Gegensatz zu anderen Medienformen sind Blogs immer noch da, hinkt also auch. Wären wir wieder am Anfang unserer Suche.
Apropos Anfang.
Das erste als solches benannte Weblog ging 1997 online – Dave Winers Scripting News1. Aber auch vorher gab es schon ähnliche Webseiten, die sich dann zum Beispiel Cybertagebuch nannten.
Beiträge in Blogs, das konnten früher auch einfach Einzeiler sein. Manch ein Beitrag in meinem Blog sah vor zwanzig Jahren so aus:

Damit war ich nicht alleine. Kurze Gedanken, ein Bild, lange Texte, all das gab es. Anders als in der Zeitung, im Fernsehen, auf den Nachrichtenseiten, die ihre Stücke bestenfalls in Formate wie "Glosse", "Reportage", "Kommentar" usw. einordnen, gab es das Format "Blogpost" nie.
2006/2007 gab es die erste große Abwanderungswelle. Viele der Bloggerinnen, die bisher kurze Blogposts geschrieben hatten, entdeckten Twitter für sich, später dann auch Facebook. Kurze Beiträge wanderten in diese Netzwerke, die damals auch noch weitaus offener waren, Schnittstellen anboten und RSS-Feeds bereitstellten. Warum also nicht?
Infolge dessen starben viele Blogs.
Sterben ist ein gutes Stichwort. 1999 wurde RSS eingeführt und seitdem ist es im Grunde tot. Ich habe so viele RSS-Feeds wie noch nie abonniert und hörte davon, dass es so etwas wie Podcasts geben soll.
RSS ist aber ein gutes Beispiel für etwas, was mit und in den Blogs passierte und passiert. Sie treiben die Entwicklung bestimmter Technologien voran. RSS, Pingbacks, Trackbacks, Webmentions, Kommentare. Aber auch Netzwerkeffekte, angetrieben durch Blogrolls, Webringe, Communitys.
In meinem ursprünglichen Artikel habe ich an dieser Stelle versucht, herauszuarbeiten, warum Blogs heute so wichtig sind, warum sich wichtige, offene, demokratische Pfeiler darstellen. Da wollte ich die Fahne hochhalten und euch alle davon überzeugen, unbedingt zu bloggen.
Wenn du das hier liest, muss ich dich wahrscheinlich gar nicht überzeugen. Ich weiß, in welcher Blase ich unterwegs bin, und was ich da schreiben wollte, war ja schon fast fishing for compliments. Lassen wir das.
Außerdem lenkt es uns weg von der eigentlichen Frage. Das Blog als Konstante?
Betrachten wir die Lebensdauer, wir reden von gut 25 Jahren, klar, da ist das Blog eine Konstante. Die Nachrichtenseite auch. Das Forum auch. Mailinglisten …
Vergleichen wir das Blog als eine Art Format und vergleichen es mit den bekannten Formaten. Nein, dann ist das Blog eher das Gegenteil einer Konstante. Es gab nie das einheitliche Format, wie wir bereits festgestellt haben. Die journalistischen Formate hingegen, gibt es schon viel länger.
Na klar, ich könnte jetzt damit anfangen, dass ich schon so lange blogge und mein Blog deshalb eine Konstante in meinem Leben ist, aber auch das stimmt ja nicht. Es gab Jahre, da habe ich eher meinen Podcast betrieben, es gab Jahre, da habe ich so gut wie gar nichts veröffentlicht, es gab Jahre, da habe ich mich hinreißen lassen und versucht, erfolgreicher Blogger zu sein, und habe ziemlich viele Bullshitbingokreuze machen können.
Das Thema rückt den Medienwandel in den Vordergrund.
Nehmen wir uns die letzten zwanzig Jahre vor, weil das die Jahre sind, die ich bewusst wahrgenommen habe, dann sehe ich wenig Medienwandel. Ich sehe sich einander ablösende Plattformen und ich sehe das Phänomen immer größerer Wahrnehmungssilos. Das ist, meiner Meinung nach, aber kein Medienwandel, sondern eine Form von Radikalisierung, die ja heute immer mehr zutage tritt. Es gibt inzwischen genug Literatur zu dem Thema; fast hat man das Gefühl, dass diese Schritt für Schritt abgearbeitet hat.
"Die Medien" haben nun die Aufgabe, sich dem zu stellen. Wir Bloggerinnen wahrscheinlich auch.
Das Blog als Konstante; ich glaube, das gibt es nicht. So sehr ich anfangs genau das anpreisen wollte. Ist das jetzt schlimm? Nein. Blogs haben sich schon immer in alle möglichen Richtungen entwickelt. Wir alle haben unseren eigenen Begriff davon. Und wahrscheinlich ist genau das der Grund dafür, dass wir heute noch über Blogs sprechen. Sie verändern sich stetig, es gibt nicht das Blog.
Natürlich gibt es Blogs, die konstant das durchziehen, was sie schon seit Jahren machen. Ich freue mich genauso darauf, deren Beiträge zu lesen, wie auf Beiträge von Blogs, die immer wieder Neues ausprobieren.
Wisst ihr, was das Schöne ist? Ich sehe schon lauter Blogposts der anderen Teilnehmerinnen der Blogwochen vor mir, die genau Gegenteiliges schreiben werden. Und vermutlich werde ich Vielem davon zustimmen können.
Ich kann weiterhin nicht definieren, was genau ein Blog ist, geschweige denn, was die Konstante sein könnte. Fast finde ich es ein wenig unbefriedigend, so zu enden. Ich hätte gerne etwas, das ich präsentieren kann. Ich glaube aber, genauso wenig wie es das Format "Blog" braucht, braucht es auch eine Konstante.
Ich weiß nicht einmal, wie mein Blog in einem halben Jahr aussieht. Vielleicht liegt es auch an dem Konzept von Blogs, das ich in meinem Kopf habe. Ich wollte immer und möchte noch so viel ausprobieren und aus Gängigem ausbrechen.
Konstant ist da für mich nur eines: Die Gelegenheit etwas zu ändern, gibt es immer.
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